Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde unseres Instituts,
unsere Institutsarbeit im zu Ende gehenden Jahr stand ganz im Zeichen des 30. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer. 30 Jahre nach dem Ende der Teilung Deutschlands und Europas sind Historiker mehr denn je gefragt, zu erzählen, wie es war. Die Reduzierung des Lebens in der DDR auf Stasi und Doping reichen nicht mehr aus, um ein Bild von einer Gesellschaft zu zeichnen, an die immer weniger Menschen reale Erinnerungen haben.
Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen scheint es einigen unter den politischen Verantwortungsträgern, in den wissenschaftlichen Instituten und in den Medien zu dämmern, dass die bisher gängige Geschichtsbetrachtung gerade bei den Ostdeutschen auf Ablehnung und Desinteresse stößt, die trotz aller Beschwernisse in der DDR geblieben sind und mit der Hoffnung auf Besserung dort gelebt und gearbeitet haben. Hier und da wird heute sogar von einer "Krise der Aufarbeitung" gesprochen. Die wortreich beklagten politischen "Verwerfungen" in den so genannten Neuen Bundesländern und das Erstaunen über das unter Ostdeutschen weit verbreitete Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, ist auch das Ergebnis einer Geschichtsschreibung, die das Leben von Millionen Ostdeutschen ausblendet, die ihre Zukunft in der DDR gesehen haben, freilich in einem demokratisch verfassten und wirtschaftlich effektiveren Gemeinwesen. Einen anderen Umgang mit der Geschichte der Menschen mit DDR-Vergangenheit zu verlangen, erfordert ein Umdenken auf allen Seiten. Er schließt selbstverständlich ein, dass die Ostdeutschen sich selbstbewusst und selbstkritisch ihrer eigenen Geschichte stellen. Dabei gibt es nichts zu verharmlosen, nichts schön zu reden und auch nichts weiß zu waschen. Unser Institut hat seit seiner Gründung vor nunmehr 26 Jahren versucht, sich kritisch mit der Kirchenpolitik der DDR und der anderen realsozialistischen Staaten auseinander zu setzten und ein differenziertes Bild vom Leben der Menschen und insbesondere der Kirchen und Christen in der DDR zu zeichnen. Inzwischen sind neue Generationen herangewachsen. Die Zeit, die im Mittelpunkt unserer Arbeit steht, ist für sie zu einer weit zurückliegenden Geschichte geworden, die ihr Leben kaum noch berührt. Fragen müssen wir uns angesichts dieses Umstands: Finden wir Vermittlungsformen, finden wir eine Sprache, finden wir Personen und Wege, an diese neuen Generationen heranzukommen? Vor diesen Fragen stehen wir freilich nicht allein. Auch wir haben bislang keine Erfolg versprechende Antwort gefunden.
2019 haben wir es erfolgreich verstanden, unsere Kräfte im Interesse einer höheren Qualität und einer größeren öffentlichen Ausstrahlung zu bündeln. Dabei haben wir uns auf zwei große Kolloquien konzentriert. Im Frühjahr ging es bei unserem Berliner Staat-Kirche-Kolloquium um einen Rückblick auf die religions- und kirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und des Grundgesetzes von 1949 und den Versuch eines Ausblicks. Im September haben wir uns bei unserem Internationalen Staat-Kirche-Kolloquium mit der kirchenpolitischen Entwicklung in Polen, in Tschechien, in Ungarn und in Russland in den zurückliegenden 30 Jahren beschäftigt.
Zusätzlich zu unseren beiden Kolloquien haben wir zu zwei Vortragsabenden eingeladen. Prof. Robert F. Goeckel (USA) hat über die amerikanische Geschichtsschreibung zum Thema Staat und Kirche in der DDR und Prof. Ralf Rytlewski über "Berlin politisch getrennt, doch vielfach verbunden" referiert. Gast bei unserem traditionellen "Abendgespräch über Gott und die Welt" war im März Pfarrer Ulrich Hollop. Im Mai wandelten wir beim Institutstag 2019 auf den Spuren von Theodor Fontane in Neuruppin. Schließlich haben wir im November unseren 26. Gründungstag gefeiert und bei dieser Gelegenheit den Horst-Dähn-Preis 2019 an den österreichischen Pastoraltheologen und renommierten Religionssoziologen Paul M. Zulehner und posthum an den ungarischen Religionssoziologen Prof. Miklos Tomka verliehen.
Auf der Habenseite des Jahres steht die Herausgabe von zwei Heften/Bänden unserer Schriftenreihe. Dafür haben wir besonders Herrn Peter Muttersbach zu danken, der die Verantwortung für Satz und Layout unserer Publikationen übernommen hat. Im Mittelpunkt von Heft 29 steht Berlin, die geteilte und seit 30 Jahren wieder vereinte Stadt. In Heft 30 dokumentieren wir die Redebeiträge einer gemeinsamen Tagung unseres Instituts und der Theologischen Hochschule Elstal im Jahr 2017 zum Thema "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft. Freikirchliche Perspektiven auf das Verhältnis von Kirche und Staat". Danken möchte ich allen, die unsere Arbeit finanziell durch ihren Mitgliedsbeitrag und ihre Spenden unterstützt haben, allen voran Dr. Ursula Dähn, die uns seit unserer Gründung hilft und mit der Einrichtung der Stiftung einen großen Schritt getan hat, um unsere Projektarbeit längerfristig zu sichern. Dadurch war es uns 2019 möglich, mehr Professionalität und mehr Internationalität in unsere Arbeit zu bringen. Allein in diesem Jahr waren namhafte Wissenschaftler aus Polen, Tschechien, Ungarn, Russland, den USA und Österreich Gäste unseres Instituts.
Auch in Zukunft wird sich das Institut auf das Engagement ehrenamtlich Tätiger stützen müssen. Wir danken in diesem Jahr besonders Frau Annette Wodinski und Frau Yvonne Voigt für ihre Arbeit in unserem Sekretariat. Wir freuen uns, dass Frau Carola Hilbert im neuen Jahr ihre Aufgaben übernehmen wird. Mein besonderer Dank gilt nicht zuletzt dem Vorsitzenden unseres Trägervereins, Bischof a. D. Prof. Axel Noack, und den anderen Mitgliedern des Vorstands Ute Grauerholz, Dr. Doris Ritschel, Dr. Gerburg Thunig-Nittner und Reinhard Assmann.
Am Ende des Jahres 2019 denken wir auch an engagierte Mitglieder und Freunde, die unsere Arbeit über Jahre begleitet gaben und nun für immer von uns gegangen sind: Prof. Dr. Horst Dohle, Dr. Rainer Opitz und Pfarrer Peter Heyroth.
Zum Schluss möchte ich Sie alle herzlich bitten, helfen Sie auch im neuen Jahr mit, die Leistungsfähigkeit unseres Instituts zu erhalten. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen allen und wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden ein schönes Weihnachtsfest und uns allen ein gutes, friedliches neues Jahr.
Berlin/Brandenburg, Dezember 2019
Ihr Dr. Joachim Heise